|
Fliedner-Verein Rockenberg e.V. Hilfsverein für junge Straffällige |
|
Butzbacher Zeitung Oktober 2006 Hochrangige Juristen diskutierten gesetzliche Neuregelung des künftigen Jugendvollzugs In der Sporthalle der JVA Rockenberg diskutierten unter der Moderation von Dr. Johannes Fleck, dem Vorsitzenden des Fliedner-Vereins Rockenberg, sechs hochrangige Juristen über das Thema "Gesetzliche Neuregelung des zukünftigen Jugendstrafvollzuges". Vor interessiertem Fachpublikum, darunter auch Studenten der JLU Gießen, tauschten Prof. Dr. Herbert Landau, Richter am Bundesverfassungsgericht und ehemaliger hessischer Staatssekretär, Dr. Rüdiger Wolf vom Justizministerium Baden-Württemberg, Dr. Helmut Roos, Abteilungsleiter Strafvollzug am Hessischen Ministerium der Justiz, Prof. Dr. Philip Walkenhorst von der Universität Dortmund, Amtsrichter Helmut Knöner (NRW), Vollstreckungsleiter an der JVA Herford, und der Wetterauer Landtagsabgeordnete Jörg-Uwe Hahn, Vorsitzender der FDP-Fraktion, mehr als zwei Stunden lang ihre Meinungen zum Thema aus. Dr. Fleck nannte die Verfassungsgerichtsentscheidung (vgl. Hintergrundbericht) einen "Schritt in die richtige Richtung" und bat Amtsrichter Knöner als "Initiator der ganzen Geschichte" ums Wort. Denn Knöner habe mit seiner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht das Ganze erst in Bewegung gesetzt und den Stein ins Rollen gebracht. Der Angesprochene gab das Kompliment an seinen Vorredner zurück und stellte fest, dass es vor allem Dr. Fleck persönlich gewesen sei, der 1990 den ersten Anstoß gegeben habe mit seiner Bemerkung "Es muss etwas passieren in Sachen Neuregelung". Er selbst, so Knöner, habe dann 16 Jahre lang hartnäckig Druck gemacht, auch "provoziert", drei junge Gefangene seit 1990 mit eingebunden und seinen Kampf um Mindeststandards im Jugendvollzug geführt. Jetzt endlich habe sich etwas bewegt, sei der dritte Gefangene durchgekommen. Jetzt müssten bundesweit endlich die Mindeststandards gesetzlich festgelegt werden. Nicht zuletzt auch wegen der Föderalismusreform gehe jetzt auf einmal alles so schnell, seien die Verfassungsrichter in Karlsruhe "in die Pötte" gekommen. In Karlsruhe jedenfalls seien sie auf einmal schnell geworden. Verfassungsrichter Landau nannte die Auseinandersetzung über die Grundzüge des Jugendstrafvollzug auch eine Debatte "zu Ehren von Prof. Dr. Alexander Böhm", dem verstorbenen Rockenberger Fliedner-Vereinsvorsitzenden und ehemaligen langjährigen JVA Leiter. Denn gerade für dieses Thema habe sich Prof. Dr. Böhm immer ganz persönlich eingesetzt. Letztlich sei es abzusehen gewesen, dass eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden müsse. Das Bundesverfassungsgericht habe den Gesetzgeber nun aufgefordert, tätig zu werden. Aber die weithin vertretene Meinung, dass das Gericht selbst tätig werden könne, sei falsch und richte sich gegen das Gebot der Gewaltenteilung. Trotz der Vorgaben der Verfassungsrechtler bleibe ein großer Ermessensspielraum für die Politik in den 16 Bundesländern. Die Standards müssten bei Änderung von Recht und Gesetz allerdings erfüllt werden, und das Bundesverfassungsgericht werde die Entwicklung genau beobachten. Oberstes Ziel auch des künftigen Jugendstrafvollzugs müsse die soziale Integration sein. Inhaftierte Jugendliche litten sehr unter der Trennung von Familie und dem sozialen Umfeld. Also müssten die Kontakte um ein Vielfaches erhöht werden. Es seien in den JVAs positive Rahmenbedingungen für ein verstärktes soziales Lernen zu setzen. Bei Pflichtverletzungen müssten die Sanktionierungen differenziert gestaltet werden. In diesem Zusammenhang begrüßte Landau die Vorschläge der hessischen FDP zum Thema Jugendstrafvollzug. Landau forderte eine verzahnte Entlassungsvorbereitung mit entsprechender Diagnostik und Therapie. Überhaupt sei der ganze Jugendvollzug einer breiten empirischen Sozialforschung zu unterwerfen und wissenschaftlich zu begleiten. Alles sei "nicht zum Nulltarif" zu haben, gehöre aber zu der wichtigen Ausgestaltung des Sozialstaats. Das Ganze sei auch als Wettbewerb in Sachen Föderalismus um die beste Lösung zu sehen. In Hessen leiste man in Sachen Jugendvollzug bereits eine gute Arbeit. Er sei daher überzeugt davon, dass im Bundesland die Politik eine sehr zukunftsgerichtete rechtliche Grundlage schaffen werde. Die alten Frontstellungen sollten dabei aufgegeben und die Sache in den Vordergrund gestellt werden. Dr. Rüdiger Wolf ging auf die Eckpunkte der Neuordnung des Jugendstrafvollzugs in Baden-Württemberg ein. Man schaffe im "Ländle" wie auch im benachbarten Bayern, eine eigene Regelung und habe sich mit Absicht nicht der Gruppe von zehn Bundesländern angeschlossen, die unter Federführung von Berlin an einem Entwurf arbeiteten. 30 Jahre habe man sich im Bund um ein neues Gesetz gekümmert, aber es sei nicht viel dabei heraus gekommen. In Baden-Württemberg lege man großen Wert auf landesrechtliche Besonderheiten, zum Beispiel auf Bildungsangebote und ein "Nachsorgemanagement", um die Jugendlichen in das Leben und den Alltag draußen zu begleiten. Mehr Schule und Ausbildung seien notwendig. Auch betonte Dr. Wolf, dass man um das beste Ergebnis streiten und deshalb keinen Kosten sparenden "Schäbigkeitswettbewerb" aufkommen lassen werde. Den Ausdruck "Schäbigkeitswettbewerb" fand Moderator Dr. Fleck "zu hart". Dafür sei der Jugendstrafvollzug ein zu sensibles Thema. Man müsse wissen, dass alles das, was gefordert werde, Geld koste, etwa der intensiv begleitete Wohngruppenvollzug oder die Betreuung danach. Geschehe dies nicht, dann verstärkten sich die schädlichen Subkulturen. Ein guter und beeindruckender Vollzug bedürfe der Menschen, die ihn gestalten. Man benötige hochqualifiziertes Personal, denn man wolle absolut keinen Verwahrungsvollzug. Glücklicherweise habe Hessen ein enormes Potenzial an engagierten und motivierten Mitarbeitern, die mit ganzem Herzen dabei seien. Auch Jörg-Uwe Hahn schalt das Wort vom "Schäbigkeitswettbewerb". Das Wort werde gern von jenen gebraucht, die jahrelang Zeit genug hatten, ein vernünftiges Gesetz zu schaffen. Im Hessischen Landtag gebe es einen Gesetzentwurf der FDP, der sich zum größten Teil mit dem decke, was Dr. Wolf gesagt habe. Maxime der FDP sei das Fördern und Fordern. Man müsse objektiv an das Thema heran gehen, die Chancen im Sinne Jugendlicher herausarbeiten, um sie zu stärken und die Fehler zu korrigieren. Hahn sah in dem Gesetzentwurf auch die Chance für die Wissenschaft, sich einzubringen. Dies sei bislang noch nicht geschehen. Auch habe das Ministerium noch nicht dezidiert geäußert, viele Fragen seien noch offen. Dass alles mehr Geld kosten werde, das wusste auch Hahn. Dafür müssten die Rechtsgrundlagen geschaffen werden. Dr. Roos wies auf den "Zeitdruck" hin, in wenigen Wochen einen neuen gesetzlich geregelten Jugendstrafvollzug zu schaffen. Aber Hessen mache bereits vieles von dem was im BVG-Urteil angesprochen wurde. Von daher sei er guten Mutes, dass Hessen genau das in die Praxis umsetzen werde, was dem Urteil entspreche. Überhaupt sah Roos alle Länder auf gutem Wege. Von daher gebe es die Frage des "Schäbigkeitswettbewerbs" gar nicht. Aufgabe der Politik werde die Formulierung des Gesetzes, die Schaffung eines Gestaltungsspielraums vor Ort und die entsprechende finanzielle Ausstattung sein. Für Prof. Walkenhorst war es neben Arbeit, Ausbildung und Beruf gerade das Medium Sport (und auch der musische Bereich), das es zu nutzen gelte, um die Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft zu ermöglichen. Man müsse Anreize zum Mitmachen für die Gefangenen schaffen und sie nicht stundenlang vor der Glotze sitzen lassen. Sport sei nun einmal elementarer Teil jugendlicher Lebenskultur. Man sollte sich daher nicht scheuen, professionellen sportwissenschaftlichen Rat einzuholen. Der Schlüssel zur Resozialisierung liege in der intensiven und individuellen Betreuung. Der Schlüssel zur Resozialisierung liege in der intensiven und individuellen Betreuung der jungen Gefangenen während und nach der Haftzeit. Sport sei insofern ein wichtiger Bestandteil des Jugendstrafvollzugs bei der Vorbereitung auf ein straffreies Leben danach.
Butzbacher Zeitung Oktober 2006 Alter der Häftlinge muss mehr berücksichtigt werden BVG-Urteil fordert Neuregelung des Jugendstrafvollzugs Darüber diskutierten die Experten in der Sporthalle der JVA Rockenberg: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat in einem Urteil (AZ: 2 BvR 1673/04 u.a.) eine "gesetzliche Neuregelung des Jugendstrafvollzugs" gefordert. Laut höchstrichterlichem Urteil müssen beim Jugendstrafvollzug, er ist Sache der Länder, Alter und Entwicklungsstand der Häftlinge besser berücksichtigt werden. Die Länder sind aufgefordert, bis Ende 2007 neue gesetzliche Regelungen zu schaffen. Das Gerichtsurteil fordert, ein "wirksames Resozialisierungskonzept zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen". Dazu müsse es auch ausreichende "Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten" in den Gefängnissen geben, "Vorkehrungen für positives soziales Lernen" sowie eine angemessene Hilfe nach der Haftentlassung. Die geforderten "gesetzlichen Grundlagen" müssen das jugendliche Alter der Gefangenen berücksichtigen. Denn Jugendliche befinden sich biologisch, psychisch und sozial in einem Stadium des Übergangs. Auch Strafen wegen Pflichtverstößen hinter Gittern müssen diesen Besonderheiten angepasst werden. Kontakte zu anderen Gefangenen oder die körperliche Bewegung, so das Urteil, dürften deshalb nicht genau so eingeschränkt werden wie bei den erwachsenen Häftlingen. Laut Urteil müssen die jugendlichen Häftlinge außerdem für die Pflege familiärer Kontakte sehr viel mehr Besuchsmöglichkeiten bekommen als bislang. Die Verfassungshüter räumten jugendlichen Häftlingen zudem einen stärkeren Rechtsschutz ein, um sich gegen unzulässige Eingriffe in ihre Grundrechte während der Haft wehren zu können. Geklagt hatte ein wegen Mordes zu neun Jahren Haft verurteilter junger Mann aus der JVA Siegburg, weil seine Post kontrolliert wurde und er wegen einer Schlägerei unter Gefangenen ein zweiwöchiges Fernsehverbot auferlegt bekam.
Erziehung geht vor Sicherheit Diskussion über Jugendstrafvollzug fand hinter Gittern statt Von Pitt von Bebenburg Das hessische Gesetz für den Jugendstrafvollzug wird in Umrissen erkennbar. Einen besonderen Akzent will Justizminister Jürgen Banzer (CDU) darauf legen, dass die Jugendlichen im Übergang zwischen Haft und Freiheit besser begleitet werden als bisher. Bei der Regelung der Jugendhaft wird es nach Einschätzung des hessischen Justizministeriums keinen "Schäbigkeits-Wettbewerb" zwischen den Bundesländern geben. Diese Frage stellte sich nicht, sagte der zuständige Abteilungsleiter im Justizministerium, Helmut Roos, am Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion in der Jugendhaftanstalt Rockenberg in der Wetterau. Die öffentliche Diskussion sei vielmehr eine Chance für zusätzliche Investitionenin die Förderung von Perspektiven für junge Straftäter. In Rockenberg war erneut die Befürchtung laut geworden, dass die Länder ihre Gesetzesvollmacht für den Strafvollzug zum Sparen nutzen könnten. So berichtete der Kölner Pädagogik-Professor Philipp Walkenhorst, in manchen Ministerien werde erwogen, Ausgaben im Erwachsenen-Strafvollzug zu verringern, um im Jugend-Vollzug investieren zu können. Es war die erste hochkarätige öffentliche Debatte außerhalb des Landtags, seit feststeht, dass die Bundesländer bis Ende 2007 den Jugendvollzug regeln müssen. Eingeladen hatte dazu der Fliedner-Verein Rockenberg, ein Hilfsverein für junge Straffällige, dessen Vorsitzender Johannes Fleck früher die Anstalt in Rockenberg geleitet hat. Mehr als 100 Zuhörer waren zur Diskussion hinter Gefängnismauern gekommen. In Rockenberg sitzen 225 junge Männer ein, die straffällig geworden sind. Ein Schwerpunkt des hessischen Gesetzes solle das "Übergangs-Management" werden, kündigte Ministeriumsvertreter Roos an. Bei den jungen Straftätern müsse man "den Weg von drinnen nach Draußen sehr intensiv begleiten" und den Faden auch in der Freiheit nicht abreißen lassen. Hessen ziele auf entsprechende Verpflichtungen für Bewährungs- oder Gerichtshilfe. Anders als andere Länder wolle man aber die Größe von Wohngruppen-Einheiten in den Haftanstalten nicht vorschreiben, sagte Roos. Der Bundesverfassungsrichter Herbert Landau, der früher als Justiz-Staatsekretär in Hessen tätig war, machte jedoch deutlich, dass nur ein "Wohngruppen-Vollzug" den Anforderungen der Verfassung gerecht werde. Ob zehn oder 20 junge Menschen zusammen in einer Einheit leben sollten, "darüber lässt sich sicher reden". Aber: "Die Unterbringung auf einer Station mit 50 Gefangenen ist nicht verfassungsgemäß." Über die Einhaltung der Kriterien, die die Karlsruher Verfassungsrichter in diesem Jahr für den Jugendstrafvollzug aufgestellt hatten, werde er persönlich wachen. "Das ist alles nicht zum Nulltarif zu haben. Aber hier geht es um eine wichtige Ausgestaltung des Sozialstaats", betonte Landau. Dazu zähle auch die wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit von Erziehung in der Haft. Das Erziehungsziel wird im hessischen Jugendstrafvollzugs-Gesetz vor der Sicherheit stehen. Das kündigte Roos an. Im Entwurf der hessischen FDP-Fraktion, die als einzige bereits eine Vorlage zu Papier gebracht hat, ist zunächst die Sicherheit genannt. Dies sei aber nicht als Wertung gemeint, beteuerte der Fraktionsvorsitzende Jörg-Uwe Hahn. Wie er vertrat auch Ministeriumssprecher Roos die Auffassung, die Reihenfolge sei rechtlich unerheblich. Reagiert habe man trotzdem auf Kritik an der FDP, die unter anderem von SPD und Grünen gekommen war, berichtete Roos. Deshalb stehe nun der Erziehungsgedanke an erster Stelle. JUGENDSTRAFVOLLZUG
2006 Fliedner-Verein
Rockenberg e.V. |