Fliedner-Verein Rockenberg e.V.

                                                            Hilfsverein für junge Straffällige

 

 

 

 

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Fliedner-Verein Rockenberg e.V.

Stellungnahme des Fliedner-Vereins zum

Entwurf eines Hessischen Gesetzes zum Jugendstrafvollzug

Der Hessische Minister der Justiz hat im März 2007 den Entwurf eines hessischen Jugendstrafvollzugsgesetzes (HessJStVollzG)vorgelegt.

Er konnte  dies gesondert für das Bundesland Hessen tun, weil nach der Föderalismusreform[1] die Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug der alleinigen Zuständigkeit der Länder vorbehalten ist. Die Länder, also auch Hessen, sind allerdings  verpflichtet bis Ablauf des Jahres 2007 eine gesetzliche Regelung des Jugendstrafvollzuges zu schaffen gemäß der Entscheidung des BVerfGE  vom 31. 5. 2006.Das Gericht führt insoweit  aus :

" Eingriffe in die Grundrechte bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Seit 1972 ist geklärt, dass von diesem Erfordernis auch Eingriffe in die Grundrechte von Gefangenen nicht ausgenommen sind. (BVerfGE 33.1 ff; 58, 358 ff.). Grundrechtseingriffe, die über den Freiheitsentzug als solchen hinausgehen, bedürfen danach.....einer eigenen gesetzlichen Grundlage, die die Eingriffsvoraussetzungen in hinreichend bestimmter Weise normiert

(BVerfGE 40, 276 ff.) Die inhaltliche Ausgestaltung des Strafvollzuges für Jugendliche und ihnen gleichstehende heranwachsende Straftäter unterliegt allerdings besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die auch für die Reichweite des Erfordernisses gesetzlicher Regelung im Jugendstrafvollzug von Bedeutung sind."

Der Fliednerverein Rockenberg, hat in seiner Schriftenreihe[2] die Entwicklung des Jugendstrafvollzuges generell aber auch die Entwicklung der Vollzugsgestaltung in der JVA Rockenberg begleitet, zuletzt in einer Podiumsdiskussion vom 26. 10 2006 zum Thema: Gesetzliche Regelung des zukünftigen Jugendstrafvollzuges. Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren Prof. Herbert Landau, Richter am Bundesverfassungsgericht,       

Dr. Rüdiger Wolf vom  Justizministerium Baden-Württemberg, Dr. Helmut Roos, Abteilungsleiter Strafvollzug im Hessischen Ministerium der Justiz, Prof. Dr. Philip Walkenhorst von der Universität Dortmund, Amtsrichter Helmut Knöner (NRW), Vollstreckungsleiter an der JVA Herford und der Wetterauer Landtagsabgeordnete Jörg Uwe Hahn, Vorsitzender der FDP- Fraktion.

Die Moderation oblag dem Vorsitzenden des Fliednervereins Rockenberg, Dr. Johannes Fleck, langjähriger Leiter der JVA Rockenberg.

Die Veranstaltung fand statt zu Ehren von Prof. Dr. Alexander Böhm, der durch einen tragischen Verkehrsunfall im Mai 2006 ums Leben kam.

 Prof. Böhm war Ehrenvorsitzender des Fliednervereins und Vorsitzender der Jugendstrafvollzugskommission, die 1976 vom damaligen Bundesjustizminister Dr. Vogel beauftragt wurde, Grundlagen für die gesetzlichen Regelungen des Jugendstrafvollzuges zu erarbeiten. Die Ergebnisse wurden 1980 als Grundsatzvorstellungen im Schlussbericht der Jugendstrafvollzugskommission von Prof. Böhm verfasst .

Der Fliednerverein Rockenberg sieht nun  am Ende einer langen "gesetzlosen" Zeit[3] wiederum  Veranlassung, zu dem nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf des Hessischen Ministers der Justiz Stellung zu nehmen.

Allerdings soll sich die Stellungnahme nur auf die wesentlichen Eckpunkte des Gesetzentwurfes beschränken, d. h. auf solche, die vom Fliednerverein stets als unabdingbar für einen eigenständigen Jugendstrafvollzug gefordert wurden, damit er diesen Namen verdient. Dazu gehört die essentielle Voraussetzung, dass sich der Jugendstrafvollzug nur dann von der Regelung des Erwachsenenvollzuges unterscheidet , wenn er im Gesetz entgegen insoweit kritischer Positionen in der Literatur[4] unmissverständlich als Erziehungsvollzug ausgewiesen ist[5]. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner neuesten Entscheidung  zum Erziehungsvollzug bekannt, wenn es ausführt:

"Dieses - oft als Resozialisierungsziel bezeichnete - Vollzugsziel der sozialen Integration (vgl. BVerfGE 64, 261 ff.) für den Erwachsenenvollzug einfachgesetzlich in § 2 StVollzG festgeschrieben, ist im geltenden Jugendstrafrecht als Erziehungsziel verankert (§ 91 Abs. 1 JGG)."

Das Gericht gibt diesem Vollzugsziel Verfassungsrang mit besonders hohem Gewicht[6].

Der hessische Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes erfüllt diese substantielle Notwendigkeit. § 2 E befasst sich unter den Grundsätzen des Vollzugs der Jugendstrafe mit dem Erziehungsziel und der Allgemeinheit.

In Abs. 1 E heißt es : "Durch den Vollzug der Jugendstrafe sollen die Gefangenen befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Erziehungsziel)."

Mit dieser Legaldefinition wird die Grundlinie des hessischen Jugendstrafvollzuges im Sinne der Entscheidung des BVerfGE[7] unmissverständlich vorgegeben. Folgerichtig heißt es in § 2 Abs. 2 E: "Der Jugendstrafvollzug dient zugleich dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Dies wird durch das Erreichen des Erziehungszieles und durch die sichere Unterbringung und Beaufsichtigung des Gefangenen gewährleistet."

Schließlich ist in dem Zusammenhang auf die Regelung in § 3 Abs.1 S. 1 hinzuweisen, wonach der Jugendstrafvollzug erzieherisch auszugestalten ist.

Der dem Entwurf zugrundeliegende Erziehungsgedanke entspricht auch den Grundsatzvorstellungen der Jugendstrafvollzugskommission zum Vollzugsziel im Jugendstrafvollzug[8]. Darin heißt es: "Ziel und Aufgaben des Jugendstrafvollzuges sind maßgebend vom Erziehungsgedanken geprägt und unterscheiden sich daher grundlegend von denen des Vollzuges an Erwachsenen. Der Jugendstrafvollzug soll dem jungen Gefangenen helfen, zu einem eigenverantwortlichen Leben in der Gemeinschaft zu finden."

Helfen wird der Vollzug dem jungen Gefangenen aber nur dann, wenn er ihn erreicht, d.h. eine positive Beziehung zu ihm aufbauen kann .Erziehung erfolgt nämlich ausschließlich auf der Beziehungsebene, die vertrauenserweckende Betreuung über die gesamte Strafzeit hinweg unabdingbar macht.

Deshalb muss auch die Jugendstrafanstalt so durchgegliedert sein, dass sie von dem jungen Gefangenen nicht als anonyme Einrichtung erlebt wird. Vielmehr sollen verlässlich handelnde und den Jugendlichen bekannte Betreuer für die Steuerung einer überschaubaren Wohngruppe Verantwortung tragen.

Eine entsprechende Durchgliederung der Anstalt sieht § 68 Abs. 4 E zunächst auf der Gefangenenseite vor. Danach sieht die Gliederung Vollzugsabteilungen vor, die aus Wohngruppen bestehen. Eine Wohngruppe soll in der Regel aus nicht mehr als acht Gefangenen bestehen.

In § 72 E ist die Zuordnung der Bediensteten vorgegeben  Nach  §72 Abs.2 E ist für jede Anstalt die erforderliche Anzahl von Bediensteten der verschiedenen Fachrichtungen vorzusehen. Die  Bediensteten werden den Abteilungen und Wohngruppen zugeordnet. Leider ist nicht konkretisiert, wie viele ständige Betreuer der einzelnen Fachbereiche für eine Wohngruppe als mindestnotwendig erachtet werden. Zurecht ist demgegenüber herausgehoben,  dass eine - ganz sicher personalintensive -  erzieherische Betreuung in den Wohngruppen auch in der ausbildungs- und arbeitsfreien Zeit, insbesondere an Wochenenden in dem erforderlichen Umfange zu gewährleisten ist.

Von besonderer Bedeutung erscheint die in § 71 Abs.3 E getroffene Regelung, dass zur Vorbereitung grundlegender Entscheidungen im Vollzug die maßgeblich an der Behandlung Beteiligten in Konferenzen mitwirken. Dies sichert einerseits das Interesse und die Zufriedenheit der Mitarbeiter, insbesondere die des allgemeinen Vollzugsdienstes an der Alltagsarbeit am Gefangenen. Die Jugendlichen selbst begreifen und  respektieren andererseits die an der sie betreffenden Entscheidung mitwirkenden Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes als Betreuer. Sie werden damit automatisch nicht mehr als bedeutungslose Wärter oder gar Schließer erlebt[9].

Um die im Entwurf  richtig beschriebene Zielvorgaben für den Jugendstrafvollzug in die Praxis umzusetzen bedarf es eines dynamischen und sehr flexiblen Strukturgefüges. Dies ergibt sich bereits aus den Grundsatzvorstellungen der Jugendstrafvollzugskommission zum Vollzugsziel, in denen zurecht festgestellt wird: " Die Persönlichkeitsentwicklung verläuft nicht immer ohne Rückschläge. Auf solche Rückschläge muss der Vollzug sich einstellen; ggf. sind sie zum Anlass zu nehmen, die individuell erforderlichen Hilfen und Bemühungen fortzusetzen, zu verändern oder zu verstärken[10]."

Um diese dynamische Flexibilität zu erreichen , wurde in der JVA Rockenberg bereits im Jahre 1974 eine entsprechende Anstaltsstruktur eingeführt[11].

So gelang es, die Beziehungsebene auf der der einzelne Jugendliche am ehesten zu erreichen ist, als Erziehungsbasis zu institutionalisieren. Zu diesem Zwecke wurden die jungen Gefangenen - dies entspricht dem in § 18 Abs. 1 E und § 68 Abs. 4 E geregelten Eckpunkt - Wohngruppen bestehend aus jeweils 10 Mitgliedern zugeordnet; zwei Zehnereinheiten sind nach Errichtung der neuen Unterkunftshäuser auf einer Flurebene untergebracht. Die erforderlichen Funktionsräume , Gruppenräume, Küchen, Duschen, usw. können von allen gemeinsam genutzt werden, aber auch jeweils einer Untereinheit zur Verfügung gestellt werden. Räumlich ist also die Möglichkeit von Binnendifferenzierungen gegeben.

Beide Wohngruppen , die auf einer Flurebene ,jeweils an den gegenüberliegenden Enden in Einzelzellen eingerichtet sind, werden von einem Betreuerteam begleitet, das aus einem Sozialarbeiter und fünf ständigen Wohngruppenbediensteten besteht. Das Wohngruppenteam wirkt bei allen wichtigen Entscheidungen mit, die einen Jugendlichen in der Wohngruppe betreffen. Damit ist ein weiterer zentraler Eckpunkt des Entwurfes erfüllt, der in

§ 71 Abs. 3 E  geregelt wird. Sofern Wohngruppen mit acht Gefangenen gebildet werden ( § 68 Abs. 4 E ), ist die personelle Zuordnung natürlich zu verstärken. 

Der in der Zugangszeit grobrastrig aufgestellte Förderplan gemäß § 9 E und § 10 E wird vom Erziehungsteam im weiteren Verlauf der Strafzeit entsprechend der Entwicklung eines Jugendlichen mit für ihn erreichbaren Unterzielen versehen, die nach Erreichen weitermotivieren sollen. Schulische und berufliche Bildung, soziales Training, Freizeitgestaltung spielen eine entscheidende Rolle. Zur Aufstellung des Förderplans in der Zugangszeit ist das Diagnoseverfahren MIVEA als idealtypisch vergleichbare Einzelfallanalyse einsetzbar[12].

In der JVA Rockenberg werden Förderpläne für alle Jugendlichen erstellt, auch für Untersuchungsgefangene. Wäre die Untersuchungshaft ebenfalls  im vorliegenden Entwurf geregelt , dies ist nicht gemacht worden, würde dies die Einheitlichkeit der Jugendkriminalrechtspflege unterstreichen[13].  In § 8 Abs. 5 E ist lediglich vorgesehen , dass bei vorheriger Untersuchungshaft die dort gewonnenen Erkenntnisse so weit wie möglich zu nutzen sind, um das Verfahren nach den § § 8 - 10 E abzukürzen.

Die Bedeutsamkeit der bisher aufgezeigten Eckpunkteregelung , die sich auf eine Rumpfklientel bezieht, die von alternativen Maßnahmen vor dem Vollzug nicht erreicht wurde und als ultima ratio schließlich vom Gericht gemäß § 17 JGG in den Jugendstrafvollzug eingewiesen werden musste, verdeutlicht das sog . Motivationsdreieck[14]. Darin ist die Strafzeit auf der Strecke von A bis E in Kleinstschritte, d. h. weitermotivierende Unterziele gegliedert. Die positive Entwicklung verläuft auf der aufwärtsgerichteten Strecke von A nach C, die negative Entwicklung wird auf der Abwärtsstrecke von A nach B verdeutlicht. Das Dreieck ABC beschreibt ein emotionales Kräftefeld widerstreitender Verhaltensmuster .An der Ecke A , also am Anfang der Vollzugszeit, muss bereits während der Zugangsanamnese damit begonnen werden, positive Ansätze beim Jugendlichen herauszufinden, über die weitermotiviert wird. Sport und Spiel haben eine besondere Bedeutung bei jungen Menschen und sollten entsprechend genutzt werden, neben sonst vorhandenen Interessen.  Dabei  wird der Jugendliche zunächst seitens  der ihn betreuenden Mitarbeiter eng  auf  das nächstliegende Zwischenziel zugeführt[15].

Es ist jedoch zu bedenken, dass die Einflüsse der Subkultur in Punkt A mitstarten und dort besonders wirksam sein können. Diesen gilt es von Anfang an gegenzusteuern[16].

Die positive Entwicklung wird stets unmerklicher begleitet, je gefestigter sie erscheint, in Richtung zu Punkt C. Dort, d. h. im Zeitpunkt der Entlassung sollte das Selbstwertgefühl des Jugendlichen dann so gefestigt sein und der Einfluss der Subkultur in Punkt B so weit zurückgedrängt sein, dass sich der Jugendliche nicht mehr von ihr vereinnahmen lässt. Vielmehr sollte er im Punkt C clean sein von Drogen und Gewalt, damit er sich in sozialer Kompetenz der freien Gesellschaft und ihrem Leistungsdruck stellen kann.

Die Effizienz der Bemühungen um den einzelnen Jugendlichen, dies lässt das Motivationsdreieck erkennen, wird bestimmt von der Qualität und gleichermaßen von der erforderlichen Anzahl des Personals. Deshalb ist der bereits erwähnte Eckpunkt in § 72 Abs. 2 E  des vorliegenden Gesetzentwurfes besonders bedeutsam, wonach  für jede Anstalt die erforderliche Anzahl von Bediensteten, insbesondere des sozialen, pädagogischen und psychologischen Dienstes, des allgemeinen Vollzugsdienstes, des Werkdienstes, des medizinischen Dienstes sowie der Verwaltung vorzusehen ist.

Der Eckpunkt in § 72 Abs.3 E bestimmt konsequenterweise, dass das Personal für die erzieherische Aufgabe des Jugendstrafvollzuges fachlich geeignet und fachlich qualifiziert sein muss. Fortbildungen sowie Praxisberatung und Praxis- begleitung für die Bediensteten werden regelmäßig durchgeführt.

Diese vorgesehene Regelung ist deshalb besonders wichtig, weil die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden müssen, im Team den Erziehungsplan zusammen mit dem Jugendlichen umzusetzen. Hierzu ist es notwendig, insbesondere die Mitarbeiter des allgemeinen Vollzugsdienstes entsprechend zu befähigen, weil gerade sie mit den Jugendlichen am meisten im Vollzugsalltag befasst sind[17].

In der JVA Rockenberg haben die Anstaltspsychologen regelmäßig Fortbildungstage für die einzelnen Teams angeboten.

Auf beachtliches Interesse stieß von Anfang an die systemimmanente Fortbildung, die mit der Aufbereitung des  sog. Wohngruppenspiegels[18] automatisch einhergeht, zumal der Wohngruppenspiegel zugleich ein sehr differenziertes und erkenntnisreiches Steuerungsinstrument darstellt

Jedes Betreuerteam stellt monatlich eine Beurteilung für jedes Wohngruppenmitglied auf .Dazu tauschen die Teammitglieder die von jedem einzelnen gemachten Eindrücke aus und fügen die gemeinsame Wertung in eine sich dann verbreiternde Informationsbasis ein. Sie erweitert sich monatlich für jeden jugendlichen der Wohngruppe, wenn die Teammitglieder ihre Eindrücke abgeglichen und in vier nebeneinanderliegenden kleinen quadratischen Kästchen als auf den ersten Blick erkennbare farbliche Unterscheidungsmerkmale eingetragen, d. h. visualisierter haben. Grün wird die Mitarbeit des einzelnen Jugendlichen am Förderplan eingezeichnet, rot Gewaltveralten, blau Drogenmissbrauch und weiß undifferenziertes Verhalten.

Die monatliche Wertung des einzelnen Wohngruppenmitgliedes wird mit ihm besprochen.

Gleichsam auf einen Blick lässt sich für alle an der Behandlung Beteiligten nicht nur die Entwicklung jedes Wohngruppenmitgliedes ablesen, sondern zu jedem Zeitpunkt auch die Gruppenkonstellation und damit sowohl Gruppendynamik wie pädagogisches Klima einschätzen Die jeweilige Gruppenkonstellation und die Einschätzung des einzelnen Jugendlichen in der Zugangszeit sollten erkennen lassen, in welche Wohngruppe er am besten passen könnte. Durch genaues aber unauffälliges Beobachten des einzelnen Jugendlichen, sog. Monitoring, insbesondere sein Verhalten, zur Gemeinschaft können dem Betroffenen rechtzeitig Grenzen aufgezeigt werden, d. h. begründetes Entwicklungscontrolling ist möglich. So können die Bediensteten den Jugendlichen , die positiven Einfluss in der Gruppe ausüben begründet  größere Freiräume im Rahmen der Binnendifferenzierung einräumen, andere hingegen restriktiver führen.

Die Vernetzung von Wohngruppen- Schul- und Ausbildungsspiegel schafft schließlich eine fundiertere Grundlage für die Gewährung von Lockerungen[19], Freigang[20] und zur Stellungnahme für vorzeitige Entlassung nach § 88 JGG.

Die regelmäßigen Beratungen fördern die notwendige Sensibilität der Bediensteten für die schwierige Betreuungstätigkeit neben der Lektüre der Förderpläne der Jugendlichen , für die sie zuständig sind.

Diese Sensibilität ist notwendige Voraussetzung für nahezu alle wichtigen Vollzugentscheidungen.  Folgerichtig formuliert  §13 Abs. 2 S. 1 E die Pflicht der Vollzugsbehörde, regelmäßig zu prüfen, ob das Erziehungsziel durch vollzugsöffnende Maßnahmen besser erreicht werden kann. Sie können nach dieser Vorschrift in dem Zeitpunkt gewährt werden, wenn der Gefangene für die jeweilige Maßnahme geeignet ist, d.h. seine Persönlichkeit soweit gefestigt und nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Jugendstrafe entzieht oder die Maßnahme zur Begehung von Straftaten oder auf andere Weise missbraucht.

Die Notwendigkeit, diesen Zeitpunkt fundiert begründet auszumachen, ergibt sich auch aus § 13 Abs. 1 E, nach dem die Gefangenen grundsätzlich im geschlossenen Vollzug untergebracht werden. Dies wiederum erscheint aus dem Umstand gerechtfertigt, weil die schließlich Eingewiesenen eine Vielzahl von alternativen Maßnahmen, wie bereits erwähnt, missachtet haben.

Ist ein Wohngruppenbediensteter auf diese Weise in die Lage versetzt, seine tägliche Auseinandersetzung mit den Jugendlichen sensibel genug umzusetzen, wird er Problemverhalten einzelner auch rechtzeitig erkennen können, um dem mit erzieherisch ausgerichteten Konfliktlösungsstrategien entgegenzuwirken, bevor Disziplinarmaßnahmen notwendig werden (§ 54 und 55 E). Problemverhalten kann ganz offenkundige aber auch sehr subtile Ursachen haben. Bei der großen Zahl ausländischer Insassen gibt es eine beachtliche Zahl derer, die von Abschiebung betroffen sind. Sie sehen oft keinen Sinn, schulische oder berufliche oder sonstige Angebote der Anstalt anzunehmen. Die offenkundige Ursache ihres Problemverhaltens liegt meist darin, dass sie lange Zeit keine Klarheit über ihre Situation haben. Entweder steht die Entscheidung der Ausländerbehörde  aus, oder hiergegen wurden gerichtliche Verfahren angestrengt.

Subtile Ursachen liegen oft in ihrer in der Familie, in die sie wieder zurückkehren, erfahrenen religiösen Erziehung. Die familiäre Wertevermittlung, die sich bei jugendlichen muslimischen Glaubens am Koran orientiert hat, bringt viele in Schwierigkeiten, sich in die Gesellschaft der Bundesrepublik mit ihren nach dem Grundgesetz gültigen Wertvorstellungen einzufügen[21]. Die Leitlinien der Förderung in  §  5 E zählen  deshalb zurecht hierzu die gezielte Vermittlung eines an den verfassungsrechtlichen Grundsätzen ausgerichtetes Werteverständnisses. Schwierigkeiten werden meist dann für die Jugendlichen deutlich, wenn sie nach der Entlassung nach Hause zu ihren Eltern zurückkehren und dort die nach islamischem Glauben vorgegebene Dominanz des Vaters in Angelegenheiten, die sich auf den Glauben beziehen, verspüren. Gut geschultes Personal muss in Kenntnis dieser Diskrepanz sachangemessen mit den Jugendlichen in Zusammenarbeit mit den Fachdiensten, agieren. In der JVA Rockenberg bietet der psychologische Dienst in geeigneten Fällen familientherapeutische Hilfen begleitend an[22]. 

Die aufgezeigte  Erziehungsarbeit kann für die Mitarbeiter dann  auch Freude bereiten und sie ausfüllen, weil sie eingebunden sind in deren Gestaltung am jugendlichen Gefangenen.

So hat sich ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen Mitarbeiterzielen und Führungszielen realisieren lassen. Gerade für die den Alltag tragenden Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes ist eine mit  ausschließlich sachbezogenem Interesse besetzte Möglichkeit der Mitwirkung geschaffen; zugleich ist damit sowohl einem politisch wie auch gewerkschaftlich bedeutsamen Ziel entsprochen.

Abschließend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Entwurf nicht nur wie bereits erwähnt , die Untersuchungshaft nicht in die gesetzliche  Regelung einbezogen hat; damit hätte er die Einheitlichkeit der Jugendkriminalrechtspflege unterstreichen können.

Es ist im Entwurf auch keine Neuregelung für die  gerichtliche Überprüfung von vollzuglichen Maßnahmen erfolgt. Insoweit bleibt es bei der bisherigen gerichtsfernen   Regelung des Antrages auf gerichtliche Entscheidung an das zuständige Oberlandesgericht nach  23 ff EGGVG.

Prof. Landau hat anlässlich der Podiumsdiskussion des Fliednervereins Rockenberg am 26. Oktober 2006 insoweit ausgeführt:

" Der bislang vorgesehene Weg nach § 23 ff EGGVG , also zum Oberlandesgericht, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen  nicht. Es muß ähnlich wie auch im Erwachsenenstrafvollzugsgesetz der Weg zu einer ortsnahen, mit dem Strukturen der JVA und des sozialen Umfeldes, vertrauten richterlichen Instanz eröffnet werden .Hier sind die Länder natürlich frei, ob sie diese Aufgabe den Strafvollstreckungskammern , den Jugendrichtern oder etwa gar den Familienrichtern übertragen. "                       

 Dr. Fleck       

 

 

[1] NJW 2000 S. 2093

[2] Siehe http://www.fliednerverein-rockenberg.de

[3] Rede des Bundesministers der Justiz,  Dr. Hans-Jochen Vogel, aus Anlaß der  konstituierenden Sitzung der Jugendstrafvollzugskommission am 29. 9. 1976

[4] SPD-Fraktion BT.- Drucks. 11/4892; Karl Krone, Gefängniskunde 1889 : Strafe und Strafvollzug sind   nur eines der Mittel im Kampf gegen das Verbrechen, über dessen Wirkungen man sich im allgemeinen viel zu großen Hoffnungen hingibt. Die Bedeutung liegt eher darin, dass durch schlechte Gestaltung dieses Mittels in der Praxis das Verbrechen eher gefördert, als durch die beste Handhabung derselben die Begehung von Straftaten in ausgedehntem Maße verhindert wird. 

[5] Winfried Hassemer, Jugend im Strafrecht, ZJJ 4/2oo4 S. 344 ff.

[6] BVerfGE aaO. S.  8.

[7] BVerfGE aaO.

[8] Schlussbericht der Jugendstrafvollzugskommission S. 18.

[9] MdL Jörg-Uwe Hahn, JVA Rockenberg ist Vorbildlich, FR v. 26. 1. 1989 S. 10

[10] Schlussbericht der Jugendstrafvollzugskommission, S. 18 , VI.

[11] Johannes Fleck/Norbert Müller, Rockenberg: Struktur einer Jugendstrafanstalt, in Schriften des Fliednervereins Rockenberg, Nr. 52 / Oktober 1984; ZfSTVo 1984, S. 74 - 881; Erl.HMdJ v. 27. 3.   1979 ( 4402R 1 - IV/3 - 1979 ); Erl. HMdJ v.1.2.82 ( 4402 R1 - IV/2 - 1483/81 ); Drucks. des Hess.   Landtags 8/3285 ; 8/ 3994 v.21.3.77; Erl. HMdJ v. 10. 2 84  - Parlamentsreferent - ; Drs. Hess. Landtag   11/491 v. 23.1.84 ; Frankfurter Rundschau v. 17. 8. 79 S. 4; F. Dünkel, Kriminologische   Forschungsberichte,Band 20/1 S. 139 ff

[12]  ZJJ 4/06 S. 282 ff

[13] Vgl. Schlussbericht der Jugendstrafvollzugskommission  S. 11

[14]  Broschüre  der  Sportjugend  Hessen 2003 ,  S. 21

[15]  ZfStrV 1985, S. 269 ff

[16]  Fleck/Ringelhann, Frankfurter Rundschau 1986 S. 14

[17]  Fleck/Ringelhann, Erziehungsarbeit in der JVA Rockenberg, - Ausbildungsziele für die Mitarbeiter    des allgemeinen Vollzugsdienstes, in ZfStrVo 1986, S. 300

[18]  Fleck, Darstellung des Wohngruppenspiegels , in ZfStrVo 2000 S. 271 ff

[19]  Vgl. Jugendstrafvollzug in freieren Formen, RdErlass d.HMdJ  v. 17. 4. 1970 4412 -IV/3 - 828- JMBl. S.303   ( erste Regelung für Vollzugslockerungen )

[20]Böhm, 40 Jahre Fliedner-Haus Groß-Gerau, Broschüre des Fliednervereins Rockenberg S. 7 ff ; Johannes Fleck, Freigang als Realitätstraining bei sozialer Bedürfigkeit, Broschüre des  Fliednervereins, S. 5 ff

[21]  Vgl. hierzu Kelek , Die verlorenen Söhne - zur Befreiung türkischer junger Männer, 2006.

[22] Familientherapie als Schutz vor Rückfällen, Giessener Anzeiger v. 29. 6.1978

 

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